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Herzogs Noten gut verwahrt
Für Bibliophile ist die Landesbibliothek MV eine Schatzkammer. Genauso für Wissenschaftler, Hobby-Historiker, Studenten, die über Hausarbeiten schwitzen. Und für Musiker: Die hier aufbewahrte Musiksammlung findet international Beachtung. Seit Oktober liegt die Leitung dieses Bereichs in den Händen von Dr. Miriam Roner. „Der Ruf der Sammlung hat mich nach Schwerin gelockt“, sagt die in Bozen in Südtirol geborene Musikwissenschaftlerin.
Gerade verbringt sie viel Zeit mit Friedrich von Flotow. Der aus Mecklenburger Uradel stammende Opernkomponist, zwischenzeitlich auch Hoftheaterintendant in Schwerin, gehörte im 19. Jahrhundert zu den angesagten Tondichtern. Später geriet er aufs Abstellgleis – dabei war seine Oper „Martha“ im 19. Jahrhundert eine der meistgespielten weltweit. „Da lohnt es sich doch mal, genauer hinzuschauen“, sagt Miriam Roner. Damit dies Musikern und Musikwissenschaftlern auch aus der Ferne gelingen kann, erfasst sie den Bestand zu Friedrich von Flotow für eine Online-Datenbank. Bisher sind nur die ältesten Bestände der Musiksammlung von 1500 bis 1830 und Erwerbungen ab 1950 lückenlos elektronisch recherchierbar. Auf neuere Werke neuere Werke, die vor 1950 erworben wurden, kann nur über gedruckte Kataloge zugegriffen werden.
Im 19. Jahrhundert gibt es also noch einiges zu tun. Das reizt Miriam Roner – genauso wie die Vielseitigkeit der Aufgaben. Und sie hat den „schönsten Arbeitsweg der Welt“, der sie morgens und abends durch den Schweriner Schlossgarten führt. Ihren Weg in die Stadt bahnte die Musik: In ihrer Arbeit fürs Internationale Quellenlexikon Répertoire International des Sources Musicales (RISM) kam Miriam Roner mit der Sammlung von Louise Friederike, der Ehefrau des Mecklenburger Herzogs Friedrich des Frommen, in Berührung. Diese hatte nach ihrer Hochzeit Notenblätter und Partituren mit nach Ludwigslust genommen. Die erste Spur führte noch nach Rostock in die Universitätsbibliothek, aber schon bald tauchten viele Querverweise nach Schwerin auf. Die Stelle eines Leiters der Musiksammlung allerdings war zu diesem Zeitpunkt vakant. „Das habe ich natürlich bei meinen Recherchen gemerkt – auch wenn mit die anderen Mitarbeiter der Bibliothek sehr gut geholfen haben“, erinnert sich die 39-Jährige. Als die Stelle ausgeschrieben wurde, bewarb sie sich und erhielt den Zuschlag.
Das Besondere an der Schweriner Sammlung sind die Musikalien der Hofkapelle und Nachlassbestände von Mitgliedern der herzoglichen Familie. Unter Herzog Friedrich, der wegen seiner pietistischen Neigungen den Beinamen „Der Fromme“ trug, wurde in Ludwigslust eine sehr geistlich geprägte Musik gepflegt. Namhafte Hofkapellmeister wie Carl August Friedrich Westenholtz und Johann Wilhelm Hertel komponierten viel und die Partituren und das Stimmmaterial sind erhalten. „Das Ganze relativ lückenlos und in hoher musikalischer Qualität“, sagt Miriam Roner. Die Arbeit mit diesen historischen Quellen reizt sie, weil sie Perspektivwechsel ermöglicht. „Es eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten zu erfahren, wie Musik früher als gesellschaftliche Praxis funktionierte: in einer fürstlichen Residenz, einem Hoftheater, in häuslichem Rahmen“, sagt die Wissenschaftlerin. Gerade hat sie ein Ballet Pantomime, eine im 18. Jahrhundert beliebte höfische Gattung, in den Händen gehabt. Aufgeführt wurde es zum Geburtstag von Louise, der Ehefrau von Friedrich Franz I., und die ganze Familie war beteiligt. Wer in welcher Rolle – darüber geben noch heute die historischen Quellen in der Bibliothek Aufschluss.
Aktuell ist Miriam Roner noch dabei, sich einen Überblick über die Sammlung zu verschaffen. Auch in ihrer Freizeit taucht sie gern ins Schweriner Musikleben ein. „Ich genieße es, in der Nähe vom Theater zu wohnen, war schon im Sinfoniekonzert und in der Oper und bin frappiert von dem sehr guten Sängerensemble“, sagt die Wissenschaftlerin, die selbst auch Musikerin ist.
Ihre Leidenschaft entdeckte sie bei den Wiener Philharmonikern. „Deren Neujahrskonzert habe ich mit meinen Eltern immer im Fernsehen geschaut. Strauss und an der schönen blauen Donau, das hat mich als Kind fasziniert“, erzählt die junge Frau. Unbedingt wollte auch sie Geige lernen, bekam aber wie die meisten Kinder erstmal eine Blockflöte in die Hand gedrückt und landete schließlich beim Akkordeon. Als Musikerin hat sie sich viel Neue Musik erschlossen, nicht zuletzt von Toshio Hosokawa, der viel für Akkordeon komponierte. Hosokawas Oper „Hanjo“ hatte übrigens kurz nach Miriam Roners Arbeitsbeginn in der Bibliothek Premiere in der Schweriner M*Halle – ein Zufall.
Aktuell allerdings ruht das Akkordeon, denn es gibt viel zu tun. Zusätzlich möchte Miriam Roner auch die Orte entdecken, aus denen Musik in die Schweriner Sammlung gelangte. Die Güstrower Domschule gehört genauso dazu wie der Hof in Neustrelitz. Unbedingt geplant ist ein Trip nach Ludwigslust, wo unter Herzog Friedrich dem Frommen das Musikleben blühte. Dass Mecklenburg-Vorpommern auch sonst Reisen wert ist, weiß die Wissenschaftlerin von mehreren Urlauben aus den vergangenen Jahren. Nur nach Südtirol ist sie in letzter Zeit selten gekommen. Aber es gibt ja den Zufall: Bei ihrer Ankunft in Schwerin traf Miriam Roner im Team der Landesbibliothek MV eine weitere Südtirolerin.
Katja Haescher