Leute
Entwicklungshelferin im Norden
Der Wille, Gutes zu tun, ist bei Annette Uffmann seit jeher stark ausgeprägt. Weltweite Armut, Kinderarbeit, unfaire Handelsbedingungen – mit 16 Jahren führen sie die quälenden Gedanken über all die Ungerechtigkeit zu einer Bewegung, die immer mehr Fahrt aufnimmt: der Fairhandelsbewegung. Es handelt sich um einen Protest gegen die wachsende Ungerechtigkeit im Welthandel. Alsbald öffnen in den 1980er Jahren in westdeutschen Städten die ersten Dritte-Welt-Läden, Vorläufer der heutigen Eine-Welt-Läden.
Mit Leidenschaft beginnt die junge Annette, die im Ruhrpott zuhause ist, fair gehandelt Produkte an den Mann und die Frau zu bringen, auf Stadtfesten und bei anderen Gelegenheiten. Sie entwickelt eine unglaubliche Dynamik, die im Gedan-ken gipfelt, nach der Schule Entwicklungshelferin zu werden. Eine Freundin, die als Ärztin drei Monate in Afrika weilt, zieht ihr den Zahn. „Es war die Zeit der Aids-Welle und meine Freundin durfte nichts machen, nur untätig rumsitzen“, erinnert sich Annette Uffmann. „Na gut, dachte ich daraufhin, dann muss meine Entwicklungshilfe im Norden stattfinden.“
Die Frau mit dem fröhlichen Lockenkopf entscheidet sich für den Lehrerberuf. Im Jahr 1993 verschlägt es sie nach Schwerin. Ohne zu zögern, spaziert sie zum Eine-Welt-Laden, der sich damals noch in der Lübecker Straße gleich hinterm Eisenbahntunnel befindet. Zwei Jahre zuvor hat ihn eine Schweriner Aktionsgruppe eröffnet, die wiederum aus einem Nicaragua-Kreis in den 1980er Jahren hervorgegangen ist. „Für mich war es eine Möglichkeit, Leute kennenzulernen“, erinnert sich die Pädagogin. „Ich dachte, wer im Weltladen arbeitet, der tickt so wie ich.“ Und in der Tat folgt eine aufregende Zeit, aus denen Freundschaften hervorgehen, die bis heute bestehen. Gemeinsam halten die Schweriner ihren Weltladen am Laufen, ehrenamtlich und mit Unterstützung von ABM-Kräften. Ausstellungen werden organisiert und Filme gezeigt, die extra vom afrikanischen Filmkunstfest in Köln geholt werden. Zeitweise wirbelt Annette Uffmann im Vorstand mit. Als die Kinder kommen, macht sie ein bisschen ruhiger, komplett zurück zieht sie sich aus der Aktionsgruppe Eine Welt Schwerin aber nicht. Und sie ist dafür, dass der Weltladen 2003 in die Puschkinstraße umzieht und damit endlich mehr Laufkundschaft hat.
Es sind nun vor allem ihre Schüler und Kollegen, bei denen die engagierte Lehrerin den Fairtradegedanken streut. Kleinbauernfamilien auf Plantagen in Entwicklungs- und Schwellenländern sollen bessere Preise erhalten, soziale, ökologische und ökonomische Kriterien eingehalten werden. 2014 ist auch in Schwerin Erntezeit. Das Schweriner Fridericianum, an dem Annette Uffmann unterrichtet, wird die erste „Fairtrade School“ von Mecklenburg-Vorpommern. Mit allem Pipapo. Einer Schulleitung, die fair gehandelten Kaffee trinkt, einem Schulweltladen, einer Fairtradewoche …
Während viele junge Leute in Schwerin nicht wissen, wo sich der Schweriner Weltladen überhaupt befindet, haben Schüler aus dem Fridericianum immer wieder Lust darauf, ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) im Weltladen zu machen. So auch Vanessa, die gerade die Schule beendet hat. Freudig begrüßt sie Annette Uffmann, ihre ehemalige Lehrerin. Sie reden über den Laden. Ehrenamtliche werden dringend gesucht, die für ein paar Stunden in der Woche die Waren verkaufen. Denn Vanessa und Lilly, die andere FÖJ-lerin, sollen nicht nur im Laden stehen, sondern auch an die Schulen gehen und sich mit Sechstklässlern über globale Projekte unterhalten.
Außerdem sucht der Weltladen dringend einen neuen Ladenkoordinator oder eine Ladenkoordinatorin auf 450-Euro-Basis. „Falls sich da jemand angesprochen fühlt, bitte dringend melden“, sagt Annette Uffmann und kramt in ihrer Tasche. Sie hat ein paar Fotos mitgebracht von ihrer Reise, die sie kürzlich nach Uganda führte, eines der ärmsten Länder der Welt. „Wir haben uns Kooperativen angeschaut, die Kaffee, Tee und Bananenprodukte herstellen für unsere Weltläden. Es war beeindruckend. Die Menschen, das Land. Das war die Reise meines Lebens.“
Fast hat sie es ein wenig bereut, keine Entwicklungshelferin geworden zu sein. Aber warum erst jetzt? Warum fährt eine, die sich von Jugend an für die Weltladen-Bewegung engagiert, erst mit 56 Jahren nach Afrika? Annette Uffmann lacht: „Ich bin mit meinem Franzosen verheiratet und da ging es in den Ferien eben meistens in den Urlaub nach Frankreich.“ Außerdem gibt es in ihrem Leben ja auch noch andere Dinge. Sie liebt es, mit dem Fahrrad zu fahren oder ins Kajak zu steigen und ein paar Runden auf dem See zu drehen.
In Schwerin fühlt sie sich wohl. „Meiner Meinung nach gibt es hier auch genug Kultur. Wichtig ist es aber auch, dass kleine Initiativen was auf die Beine stellen. Dazu zähle ich zum Beispiel die Reihe ‘Kino unterm Dach‘ in der Volkshochschule oder auch unsere Filmabende im Weltladen. Auf www.weltladen-schwerin.de kann, wer mag, sich für den Newsletter anmelden. Vielleicht“, schiebt Annette Uffmann noch hinterher, „halte ich auch noch mal einen Vortrag über meine Erlebnisse in Uganda.“
Vorerst aber kümmert sie sich um eine andere Sache. „Schwerin ist seit 2012 dank der Initiative der Aktionsgruppe Eine Welt e.V. eine Fairtrade-Stadt. Geht aber sehr nachlässig damit um. Damit der Titel verlängert wird, muss er alle zwei Jahre neu beantragt werden. Bis Juli hätte die Stadt die Unterlagen einreichen müssen. Ich habe jetzt einen Brief an den Oberbürgermeister geschrieben, damit Bewegung in die Sache kommt.“ Anja Bölck