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Ongaku bedeutet Klanggenuss
„Ich wollte unbedingt die Luft atmen, die auch Brahms, Schumann und Bach geatmet haben“, sagt Yuko Ellinger. Deswegen war es ihr Traum schon als Jugendliche, nach Deutschland auszuwandern. Während andere junge Japaner ihre Idole im J-Pop, westlicher Rockmusik oder im Sport fanden, verehrte die heute 43-Jährige die deutschen Klassikkomponisten.
Geboren wurde sie in Nagasaki. Wegen des Jobs ihres Vaters in der Telekommunikationsbranche zog sie mit ihren Eltern und den beiden älteren Brüdern oft um, aber nie weit weg von der südjapanischen Stadt. Die Familie Mine (so lautet Yuko Ellingers Mädchenname) ist eine der ganz wenigen katholischen im sonst shintoistisch und buddhistisch geprägten Land. Die Gottesdienste, an denen die fünf Mines teilnahmen, begleitete ihr Vater auf der Orgel. „Ich fand die Musik und die Lieder, die in der Kirche gesungen wurden, ganz toll“, erinnert sie sich. „Als ganz kleines Mädchen habe ich schon immer versucht, auf der Orgel rumzuklimpern. Mein Vater hat dann gesagt: Kind, so geht das nicht, das musst du richtig lernen. Mit fünf Jahren meldete er mich auf einer Musikschule an, wo wir Lieder gesungen und Rhythmen geübt haben. In Deutschland würde man dazu wohl musikalische Früherziehung sagen.“ Sie blieb dabei, entwickelte sich immer weiter. „Schon mit zehn Jahren war ich mir sicher, dass ich Profimusikerin werden möchte“, sagt sie. Klavier spielen konnte sie da schon ziemlich gut.
Obwohl alles ziemlich anstrengend war, habe sie keine Sekunde daran gedacht aufzuhören. „Ich weiß gar nicht, wie ich das geschafft habe“, sagt sie schmunzelnd. „In Japan dauert die Schule ja viel länger als in Deutschland. In der zweiten Klasse ging der Unterricht schon bis 15.30 Uhr, so dass ich oft bereits vor der Schule am Klavier saß. Später habe ich dann auch mal eine Vorlesung ausgelassen und stattdessen lieber spielen geübt.“
Zum Studium – Musik natürlich und parallel Lehramt – ging es für die mittlerweile 18-Jährige dann in die japanische Hauptstadt. Vier Jahre Tokio hätten ihr aber voll und ganz gereicht. Die Stadt sei ihr zu hektisch gewesen, die Luft dort zu schlecht. Und ohne Geld habe sie in der Metropole auch nicht viel anstellen können.
Zurück zu Hause gab sie Kindern privat Unterricht. So oft es ging, besuchte sie auch Klassik- und Jazzkonzerte. Einmal trat der Rostocker Pianist Matthias Kirschnereit auf. „Gleich beim ersten Ton war ich hin und weg“, schwärmt sie noch heute. „Bei ihm wollte ich unbedingt Klavier studieren.“ Sie schaffte es: Im Wintersemester 2000 nahm sie das Studium bei Kirschnereit an der Hochschule für Musik und Theater Rostock (HMT) auf.
An der Ostsee schnupperte sie also das erste Mal deutsche Luft. Und –worin unterscheidet sich nun unsere Luft von der in Japan? Sie lacht und sagt: „Ach, so anders ist die Luft hier gar nicht.“ Aber das Zeitgefühl weiche schon sehr von dem im Land der aufgehenden Sonne ab: „Ich wundere mich immer noch manchmal, dass die Geschäfte hier so gut laufen, obwohl doch in Deutschland viel mehr Pausen gemacht werden und der Urlaub deutlich länger dauert als in Japan.“ Aber ihr gefalle der deutsche Lebensrhythmus: „Hier habe ich mehr Ruhe und Genuss im Leben und vor allem Energie für die Kunst.“ Das Einzige, was sie ein bisschen vermisse, sei das Essen aus der alten Heimat, besonders richtigen Tofu. Dafür schmeckten hier andere Sachen besser; Bratwurst und Bier fallen ihr als Erstes ein.
Nach dem Examen 2005 hängte sie ein Kammermusikstudium dran, das sie 2007 abschloss. Danach arbeitete die Pianistin zunächst freischaffend in Rostock; bereits als Studentin der HMT hatte sie einen Lehrauftrag bekommen. Bei einem Meisterkurs in Füssen lernte sie Matthias Ellinger kennen und lieben, ihren jetzigen Mann. Er wohnte damals in Saarbrücken und sie nach wie vor in Rostock. Als er in Schwerin einen Job fand, zog sie gleich mit ihm in unsere Stadt. „Ich finde Schwerin total schön“, sagt sie, „schöner als Rostock, wirklich.“ Auch sie bekam hier Arbeit: Zweimal in der Woche lehrt sie nun am Konservatorium (ab Herbst sogar dreimal). Hinzu kommen jeweils ein Tag an der Schweriner Internationalen Musikakademie Cantabile und an der HMT Rostock. Sie unterrichtet sowohl Kinder als auch Erwachsene und korrepetiert Schüler und Studenten.
Andersrum lerne sie auch viel von den Schülern. „Die Kinder freuen sich immer, wenn sie mir was über die deutsche Sprache beibringen können“, sagt sie. Sie habe in Japan bereits einen Deutschkurs belegt, dort seien Vokabeln und Grammatik gelehrt worden – nicht jedoch das Alltagsdeutsch. Die Umgangssprache habe sie vor allem von ihrer Mitbewohnerin in der Rostocker Studentenwohnung gelernt.
Zu ihren Hobbys zählt Yuko Ellinger nicht nur das Radeln entlang der Schweriner Seen, sondern auch das Posten lustiger Fotos auf Facebook; die Texte dazu verfasst sie auf Japanisch und auf Deutsch.
Aber vor allem dreht es sich in ihrem Leben um Ongaku. Das ist das japanische Wort für Musik. Wobei die Silbe On für Klang, Ton oder Note stehe, erläutert sie; und gaku heiße „Genuss“, eben genau das, was die Musik für sie bedeute. S. Krieg