20.04.2012

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Kein Rasten und kein Rosten

Wie die „Alten“ sich vom Alter nicht mehr alt machen lassen
Dank zweimal Sport in der Woche kann Annelore Ansperger ihre Muskeln auch mit 83 Jahren noch spielen lassen – der Arzt kann warten.
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„Die 60 ist die neue 40“, sagte vor Kurzem ein Fernsehmoderator zu Thomas Gottschalk. Der, fast 62 Jahre alt, lächelte sein Showmaster-Lächeln und antwortete etwas Amüsantes. Wie alt sich eine TV-Legende im Innern wirklich fühlt, das wird er seinem Publikum nicht verraten. Doch von außen betrachtet stellte sich tatsächlich die Frage: Warum sieht der Gottschalk nicht so aus wie mein Opa, als er 62 Jahre alt war? Und anders gefragt, auf das Leben der Nicht-Berühmten bezogen: Wieso wirken immer mehr Senioren, als wollten sie in ihrem Ruhestand keinesfalls nur ihr Apfelbäumchen gießen, sondern lieber Bäume ausreißen? Wie kann es sein, dass zwar überall von der Überalterung der Gesellschaft die Rede ist, niemand aber tagtäglich ein lahmes Heer der Weißhaarigen durch die Straßen ziehen sieht?
Die Forschung kennt inzwischen viele Studien, die sich mit den „jungen Alten“ beschäftigen. Einig ist man sich, dass Ernährung, Lebensweise, Sport, medizinischer Fortschritt und all die Segnungen des modernen Zeitalters das Leben länger leichter machen. Das klingt einfach – ist es auch, wenn man die „Alten“, um die es darin geht, näher kennenlernt. Sicher, es gibt genug kranke und benachteiligte Senioren und solche, die sich nach getanem Lebenswerk partout nicht mehr aus dem Sessel erheben wollen. Aber es gibt eben auch Annelore Ansperger. Sie feierte bereits ihren 83. Geburtstag, kurz davor legte sie die Prüfung für das Sportabzeichen in Silber ab; 13 goldene und silberne hatte sie bereits errungen.
Den Gang zum Arzt spart sie sich. Nicht aus falscher Bescheidenheit, sondern weil ihr überhaupt nichts fehlt. Das ruft oft den Argwohn ihrer Altersgenossen hervor. „Ich kann kaum jemandem sagen, dass ich gar keine Wehwehchen habe“, erzählt sie. „Meistens muss ich mir dann anhören, ich würde bloß angeben“.

Nirgends ein Wehwehchen

„Frohnatur“ ist eine Bezeichnung, die einem zu Annelore sofort einfällt. Ohne Sport, zweimal in der Woche, kann sie sich ihr Leben nicht vorstellen. In ihrem Sportverein Argus e.V., der sich dem Reha- und dem Seniorensport verschrieben hat, finden sich viele, die genauso denken. 50 plus, 60 plus, 70 plus – von Rentnern oder Alten zu reden fällt schwer, wenn die Beteiligten in der Halle umherflitzen. „Der Einstieg ist meist der Reha-Sport, der vom Arzt verordnet wird“, berichtet Ronald Klinger, Geschäftsführer des Vereins. „Vielen macht es dann so großen Spaß, dass sie im Breitensport weitermachen, Quote etwa 65 Prozent.“ Und auch viele Nicht-Senioren fänden inzwischen den Weg in den Verein, um der körperlichen Alterung vorzubeugen. Eine Sportgruppe „80 plus“ gibt es bereits, Wartelisten für den Verein ebenso. Ähnlich aufgestellt ist man im Balance Schwerin e.V., dem zweiten größeren Verein speziell für ältere Sportfreunde, auch hier steht Sport für höhere Lebensqualität und eine optimistische Lebenseinstellung. Angebote für Teilnehmer jenseits des Jugendwahns findet man inzwischen aber auch bei (fast) allen anderen Vereinen oder gewerblichen Anbietern. „In 85 der 105 Sportvereine der Stadt sind auch Sportler über 50 aktiv“, sagt Dirk Pollakowski vom Stadtsportbund. Laut Statistik sind knapp 4.000 sogar über 60.
28.427 über 60-Jährige leben derzeit mit Hauptwohnsitz in Schwerin. Das sind gut 30 Prozent der Einwohner, Tendenz steigend. Zehn Jahre älter werden wir heute im Durchschnitt als unsere eigenen Großeltern. Selbst die typischen Alterskrankheiten, berichten Mediziner, lassen sich heute im Durchschnitt ein paar Jahre länger Zeit, bevor sie auftauchen. „Das Alter unserer Patienten ist in den letzten fünf Jahren bestimmt um zwei bis drei Jahre gestiegen“, schätzt Diplom-Mediziner Bernd Helmecke, der Chefarzt der Inneren Medizin im Krankenhaus am Crivitzer See. „In der Medizin werden neue Methoden heute auch auf ältere Patienten zugeschnitten, Studien werden durchgeführt, Leitlinien für bessere Therapien entwickelt – das gab es für die Generation davor noch nicht.“ Im medizinischen Fortschritt verbunden mit Ernährung und Lebensführung sieht auch er die Voraussetzungen für das Jüngerbleiben. „Sport stärkt nachgewiesen das Herz-Kreislauf-System, die Gelenke und auch die kognitiven Fähigkeiten“.
Gut in Schuss – das betrifft nicht nur die motorischen Funktionen des Körpers, auch der Geist will gefordert sein. Wer sich mit den Errungenschaften der Neuzeit beschäftigt, findet sich bis ins hohe Alter damit zurecht. Und kann sogar seinen Enkeln noch etwas beibringen: Adele Haupt sitzt auf der spaßig „Excel-Ecke“ betitelten Seite in „Samtis Computerclub“ mit 13 Rechner-Plätzen. Die 65-Jährige ist jede Woche hier, die anderen in der Runde – hauptsächlich Frauen – genauso regelmäßig. „Als meine Enkelin einmal Schwierigkeiten mit Excel hatte, habe ich ihr das erklärt“, berichtet Adele. Von Erfolgen bei Ebay gibt es hier aufregende Geschichten, von E-Mails, von selbst gestalteten Grußkarten und von Urlaubsfotos, die eigenhändig am Computer schick gemacht werden. Zeitung und Fernsehen waren schon da, um diesen Club zu zeigen, der so besonders ist, obwohl er doch ganz normal sei sollte. Die Altersangaben der Teilnehmer hätten vor nicht langer Zeit höchstens in eine Häkelgruppe gepasst, nicht in ein Computerkabinett. „Unser Durchschnitt ist ungefähr 65“, bestätigt Wolfgang „Samti“ Samtleben, „und ja, das Alter der Kursteilnehmer hat sich seit den Anfängen deutlich nach hinten verschoben.“ Viele interessante Informationen werden heutzutage nur noch im Internet und elektronisch weitergegeben – wer da dabei sein will, muss dazulernen.

Der Kopf gut in Schuss

Sie wollen, die, die nichts mehr müssen, das ist der Unterschied. Wo aber hin damit, wenn mit 66 doch Schluss sein soll, mit Arbeit, mit Teilhabe am Leben? Immer mehr ältere Menschen engagieren sich ehrenamtlich, wollen teilen, was sie gelernt haben. Dafür lassen sich Angebote finden, wenn man sie sucht. Oder man stellt sich den abwechslungsreichen „Lebensnachmittag“ selbst zusammen. So machen es zum Beispiel die „Fröhlichen Dalberger“. Vor den Toren Schwerins ist diese bunte Truppe aus bis zu 36 Teilnehmern beheimatet. Heidi Webert hält organisatorisch die Fäden in der Hand und kann sich über mangelnde Aktivität wahrlich nicht beklagen. „Die Jüngste von uns ist 50, die Älteste 90“, bringt sie die Altersstruktur auf den Punkt. Aus allen Vorschlägen erstellen die Frauen jedes Jahr einen ungefähren Plan für die kommenden zwölf Monate. Ein Ganztagesausflug ist meistens dabei, eine Halbtagestour. Die Veranstaltungen und Treffen dazwischen kann man kaum zählen. Was zählt ist, dass es Spaß macht. „Besucher staunen oft, wie viel bei uns los ist“, sagt Heidi Webert stolz. „Wir antworten dann: Ja! Das machen wir alles selbst!“
Der Frühling im Herbst des Lebens funktioniert nur mit Wertschätzung für die Älteren, die sich viel zu oft aussortieren lassen müssen, weil im Geiste der Mehrheit jugendliche Dynamik über Erfahrung und Kompetenz steht. Gerade einmal ein Drittel der 55- bis 65-Jährigen in Deutschland ist heute noch erwerbstätig, sagen Erhebungen. Wenn das so bleibt, wird am nächsten Wendepunkt im Jahr 2025 in Deutschland neun Prozent weniger gearbeitet als heute – mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft. Das haben Forscher des Max-Planck-Insituts für demografische Forschung in Rostock errechnet. Aber: Würde bis zum Alter von 65 gearbeitet und die Generation „65 plus“ teilweise ins Erwerbsleben eingebunden, könnten die 20- bis 40-Jährigen in ihrer hektischen Lebensphase besser planen – ein Gewinn für Jung und Alt gleichermaßen.

www.argus-schwerin.de
www.balance-schwerin-ev.de
Samtis Computerclub: wosam@arcor.de