14.11.2012

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Lernen im Bauhaus

Berufliche Schule Wirtschaft und Verwaltung hat ihren Sitz in einem denkmalgeschützten Schulgebäude
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Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und mehr ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute am Obotritenring 50, wo ein Schulgebäude von den Lehren des Bauhausstils erzählt.

„Die Form folgt der Funktion.“ Dieser Satz des amerikanischen Architekten Louis Sullivan beschreibt das Wesen des Bauhauses, das ausgehend von Deutschland in den 1920er und Anfang der 30er-Jahre Architektur, Kunsthandwerk und Design revolutionierte. 1919 gründete Walter Gropius in Weimar das Staatliche Bauhaus. Im gleichen Jahr wurde in Schwerin der Architekt Andreas Hamann zum Stadtbaumeister des Magistrats berufen. Hamann, am 19. Juli 1884 in der Stadt geboren, war ein Verfechter des neuen Stils. Mit der 1930 erbauten Niklotschule errichtete er in seiner Heimatstadt ein Gebäude, das die klare Formensprache des Bauhauses zitiert: in Streifen angeordnete Fenster, kubische Formen, sichtbare Trägerkonstruktionen.
Wenn Gilbert Gräter, Leiter der heute hier ansässigen Beruflichen Schule Wirtschaft und Verwaltung, Besucher durch das Gebäude führt, kann er ihnen viele erhaltene Details aus der Entstehungszeit zeigen. Treppenhäuser, alte Holztüren und hölzerne Einbauschränke gehören dazu. „Ehemalige Schüler haben mir sogar erzählt, dass sie durch diese Schränke aus dem Klassenzimmer nach draußen in den Schulflur schlüpften und so manches Mal heimlich aus dem Unterricht verschwanden“, sagt Gilbert Gräter.
Die Berufliche Schule nutzt seit 2005 das Gebäude, das in den Jahren zuvor umfassend saniert und erweitert wurde. Es war nicht das erste Mal, dass der denkmalgeschützte Bau „wuchs“: 1960 reichte der Platz in dem historischen Schulhaus nicht mehr aus. Das u-förmige Gebäude aus der Bauhaus-Ära wurde jetzt um einen Anbau erweitert, auf dessen Fassade ein Kratzputz mit Sputnik-Motiv von neuen Zeiten kündete. Auch dieser Gebäudeteil steht inzwischen unter Denkmalschutz. Gleich zwei Schulen, die POS „Gerhart Hauptmann“ I und II, waren zu DDR-Zeiten in dem Gebäude untergebracht. Getrennt waren sie durch eine Wand, die quer durch die Eingangshalle verlief.
Bei der Rekonstruktion Anfang der 2000er Jahre wurde ein zweites Mal – diesmal am anderen Schenkel des U’s – ein moderner Zweckbau angefügt. Der Erweiterungsbau von 1960 erhielt zusätzlich ein weiteres Geschoss in Leichtbauweise, so dass jetzt alle Gebäudeteile die gleiche Höhe aufweisen – ein Plus für Optik und Raumangebot. 40 Klassenräume stehen den mehr als 1800 Schülern der Beruflichen Schule für Wirtschaft und Verwaltung zur Verfügung – und auch sie reichen nur, weil nicht immer alle zur gleichen Zeit da sind.
Aus der Turnhalle, im Zentrum des alten Gebäudekomplexes gelegen, ist nach der Sanierung eine Aula geworden. Markante Elemente des Bauhausstils sind auch hier gut zu erkennen. Die Schwingtüren aus Stahl und das nach innen sichtbare Stahlbetonskelett gehören dazu. Von einem Balkon über den Eingangstüren, der vom ersten Stock aus betreten werden kann, lässt sich der ganze große Raum überblicken. Für den Sportunterricht entstand zusätzlich ein neuer moderner Zweckbau, der den Schulhof zum Campus abrundet. Nicht mehr vorhanden ist die Schwimmhalle, die sich ursprünglich im Erdgeschoss des Bauhaus-Gebäudes befand. Heute „schwimmen“ die Schüler hier in Büchern: An gleicher Stelle ist die Bibliothek untergebracht.
Angehende Kaufleute für Bürokommunikation, für Tourismus und Freizeit und für Dialogmarketing, Steuer- und Rechtsanwaltsfachangestellte sowie Verkäufer und Lageristen sind nur einige der Azubis, die in der modernen Berufsschule lernen. Das gesamte Ausbildungsangebot in den Abteilungen Wirtschaft und Verwaltung ist noch um vieles größer. Zu den Berufsschülern kommen die Schüler des Fachgymnasiums Wirtschaft, Gesundheit und Soziales, die in drei Jahren die allgemeine Hochschulreife erwerben.
Diese inhaltliche Vielfalt und ein moderner, innovativer Unterricht machen die berufliche Schule aus. Dazu passt auch ein Ausspruch von Bauhaus-Gründer Walter Gropius: „Bunt ist meine Lieblingsfarbe“, sagte dieser einst und wofür könnte dies besser stehen als für eine Schule? Eine Schule, mit der Stadtbaumeister Andreas Hamann vor mehr als 80 Jahren in Schwerin neue Akzente setzte. Andere Bauten, die der Architekt seiner Stadt hinterlassen hat, sind das Krematorium und der Erweiterungsbau des Stadtkrankenhauses in der Werderstraße.
Hamann starb 1955. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Schwerin.