14.11.2012

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Herein, wenn‘s ein Schneider ist!

Im Puppentheater des Staatstheaters Schwerin werden Märchen lebendig und Kinderträume wahr
Dramaturgin Katja Frick (li.) und Puppenspielerin Antje Binder tüfteln in der Werkstatt direkt hinter der Bühne an neuen Ideen. Foto: Hultzsch
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Antje Binder ist mindestens genauso aufgeregt wie die 34 Kindergartenkinder, die ihr gleich gespannt gegenübersitzen werden. Wobei gegenüber eigentlich nicht stimmt, denn sehen werden die jungen Zuschauer nur Figuren, die bewegt von Antjes Händen wie von Zauberhand über die Bühne flitzen. „Generalprobe mit Publikum“ heißt die Veranstaltung und meint nichts anderes, als das an diesem Vormittag zum ersten Mal und noch vor der Premiere auf die Probe gestellt wird, was Puppenspielerin und Regisseur als neues Stück erdacht haben. Mit „Das tapfere Schneiderlein“ und klassischen Märchenfiguren können sie bei den 4- bis 6-Jährigen nicht viel falsch machen – noch bevor das Schneiderlein überhaupt zu Wort kommt, kreischt das fachkundige Publikum schon vor Vergnügen: Ein schwarz-gelbes Insekt summt zwischen den Vorhängen hin und her, „Tot machen!“ und „Jetzt muss du ganz still halten!“ raten die Kleinen lautstark dem ängstlichen Zeitgenossen, der sich gleich darauf nach dem einzelnen Summer zurücksehen wird, denn nun plagen ihn sieben Fliegen auf einmal!
„Ach, ist der klein, doch wär‘ er groß, wär‘s keine Kunst, mutig zu sein“ sagt die holde Prinzessin am Ende der Geschichte, nachdem sich derSchneider gegen allerlei Gestalten zur Wehr setzen musste. Den Steppkes im 21. Jahrhundert spricht das vermutlich ebenso aus dem Herzen wie früheren Generationen, die mit den Gebrüdern Grimm groß wurden. Im Puppentheater ist viel Platz für Märchen und Phantasie. „Immer noch wie Alice im Wunderland“ fühlt sich deshalb auch Dramaturgin Katja Frick, die vor zwei Jahren als Quereinsteigerin hier her gelangte. Die klassichen Puppen, erzählt Puppenspielerin Antje, seien in ihrer Arbeit für die Schweriner Spielstätte jedoch eher die Ausnahme; es überwiegen heute die außergewöhnlichen Figuren, die mit Witz und Charakter. Sie kam während des Grafikdesign-Studiums zur Puppenspielerei. Mit Regisseur Peter Waschinsky, der schon auf vier Jahrzehnte Puppentheater zurückblickt, verbindet sie eine langjährige kreative Zusammenarbeit. Gemeinsam entwickeln sie ein Stück wie dieses in ein paar Wochen, tüfteln am Text, entwerfen das Bühnenbild, modellieren zarte Puppenköpfe oder riesige Quadratschädel, wie die der beiden Riesen, die sich vom Schneiderlein ins Bockshorn jagen lassen. Die Vielseitigkeit, sagen beide, sei das Schönste an dieser fortwährenden Aufgabe. Auf der Bühne finden sich ihre Kreationen später so lange, wie das Publikum sie sehen will. „Eine fest abgesteckten Laufzeit gibt es für die Produktionen der Puppenbühne nicht“, erklärt Katja Frick. „So lange Interesse besteht, wird ein Stück aufgeführt.“ Bereichert wird der Spielplan außerdem von Gastspielen freier Puppenkünstler und -bühnen. Das Programm für die größtenteils vier- bis zehnjährigen Zuschauer ist anspruchsvoll. „Man darf die Kinder nicht unterfordern, aber auch nicht zu abgehoben künstlerisch werden“, beschreibt die Dramaturgin die Gratwanderung, die die Puppenspieler jedes Mal aufs Neue meistern müssen. Eine Herausforderung, der sich die kleine Bühne in Zukunft verstärkt stellen will, ist, das Puppentheater auch für Jugendliche wieder interessanter zu machen. Für Erwachsene hingegen funktioniert das Konzept schon ganz gut: Einmal im Monat gibt es im E-Werk am Pfaffenteich Figurentheater für ein älteres Publikum. Das kommt gut an. In der frisch renovierten Puppenbühne – der Dank dafür gebührt übrigens zu einem großen Teil dem Verein Theaterfreunde Schwerin – steht dann manchmal auch Klaus Bieligk hinter der sogenannten Spielleiste. Der Schauspieler, den meisten von der großen Bühne bekannt, hat in diesem „Puppenhaus“ eine weitere Heimat gefunden.
Die Hauptpersonen aber bleiben die Kinder, die mit offenen Augen und großen Herzen immer wieder für Sprachlosigkeit hinter den Kulissen sorgen. „Als unser Zäpfelkern einmal Hunger hatte“, berichtet Antje Binder von einem rührenden Zwischenfall, „stand ein Kind auf und brachte ihm in der hohlen, leeren Hand etwas zu essen nach vorn.“ In Ferien-Workshops und in Projekten für Schulklassen geben die Theaterleute die Kunst des Puppenspiels deshalb gern an ihr junges Publikum weiter – auf dass auch die nächsten Generationen immer wieder dem Zauber der märchenhaften Gesellen erliegen mögen.
Öffnet externen Link in neuem Fensterwww.theater-schwerin.de