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Buchstaben, verpackt nach allen Regeln der Kunst
Bücherwürmer können sie nicht schrecken. Weder solche, die alte Buchdeckel durchbohren noch solche, die ihre Nasen liebend gern in bedruckte Seiten stecken. Denn Renate Cords ist Buchbinderin und Meisterin ihres traditionellen Handwerks. Die Bücherwürmer, bei denen es sich um Larven des Nagekäfers handelt, vertreibt sie couragiert aus alten Bänden. Die Zweibeinigen dagegen sind ihr immer herzlich willkommen. Denn nicht selten braucht ein Buch einen Bücherarzt, weil es zu sehr geliebt wurde.
2009 ist es 20 Jahre her, dass sich Renate Cords als Buchbinderin selbstständig machte. Der besondere Handwerksberuf wurde der Schwerinerin in die Wiege gelegt: Schon ihr Vater war Buchbindermeister und der Duft von Leim und Papier lockte die kleine Renate immer wieder in die Werkstatt. Schließlich lernte sie selbst das Handwerk - nicht beim Vater, sondern bei einem Kollegen. Beim Vater absolvierte sie die Ausbildung zur Meisterin, ein Titel, den sie mit 23 Jahren in der Tasche hatte. „Das war natürlich anstrengend. Morgens die Erste, abends die Letzte und zwischendurch die Beste - so sollte es sein. Aber ich habe viel gelernt“, sagt Renate Cords.
Sie liebt ihren Beruf, weil er so vielseitig ist.
Ein Buchbinder bindet nicht nur Bücher. Er stellt Mappen, Kassetten und Dokumentenrollen her, verarbeitet verschiedenste Materialien wie Holz, Pappe, Papier, Leder und Leinen, führt Einlegearbeiten aus und übernimmt Vergoldungen. Viele Kunden bringen Bücher, die aus dem Leim gehen, einen gebrochenen Rücken haben oder lose, eingerissene Seiten. „Oft sind es zum Beispiel Kochbücher, die jahrelang benutzt wurden“, weiß Renate Cords. Sie hat aber auch schon einer alten Familienbibel, die auf dem Dachboden wieder entdeckt wurde, zu neuer Funktionalität verholfen. „Ich bin keine Restauratorin, deshalb ist es in einem solchen Fall wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen. Denn der Wert eines alten Buches ist schnell gemindert, wenn es nicht fachgerecht behandelt wird“, sagt die Meisterin. Deshalb hält sie bei derartigen Aufträgen engen Kontakt zu Fachleuten. Aktuell liegt eine Bibel von 1699 auf ihrem Arbeitstisch. Den Leim, der zum „Einledern“, also dem Aufkleben des Pergaments auf den Buchdeckel, gebraucht wird, setzt die Meisterin selbst ein. Stärkemehl und Wasser gut und schnell verrühren, dann einige Tage stehen lassen - das ist das Rezept. Fängt die Mischung an, etwas unangenehm zu riechen, ist der Leim am besten. „An so ein altes Buch darf man einfach nicht mit Chemie herangehen“, erklärt Renate Cords. Sie übernimmt auch ganz ungewöhnliche Aufträge. So band sie für einen Jäger ein Album, dessen Außenseite aus der Haut eines von dem Weidmann erlegten Wildschweins bestand. „Stand das Buch im Regal, hing der Wildschweinschwanz herunter“, erinnert sich die Handwerkerin an ein amüsantes Detail. Studenten und Absolventen wiederum bringen Diplom- und Abschlussarbeiten zum Binden - oft auf den letzten Drücker. Da kommt es schon mal vor, dass jemand noch am Abgabetag erscheint und Renate Cords innerhalb von Stunden die Facharbeit in Buchform bringt.
Immer gilt: Der Kunde ist König.
Neben fachkundiger und individueller Beratung setzt die Buchbinderin auf höchste Qualität. „Dadurch muss sich Handwerk auszeichnen. Anderenfalls könnte der Kunde ja auch zum Copyshop gehen“, sagt Renate Cords. Graphikmappen, Fotoalben und Skizzenbücher stellt sie aus hochwertigem Papier her. Mit diesen eigenen Produkten war die Buchbinderin Ende 2008 bei der weltgrößten Handwerksmesse im norditalienischen Mailand dabei. Zusammen mit fünf anderen Handwerkern präsentierte sie ihre Erzeugnisse auf der „Artigiano in Fiera“, die mit drei Millionen Besuchern auch eine riesige Verkaufsausstellung ist. „Es ist immer gut, mal über den Tellerrand zu schauen“, fasst sie ihre Eindrücke von zehn aufregenden, aber auch anstrengenden Tagen zusammen. Kommt eine Buchbinderin denn überhaupt dazu, selbst zu lesen? „Viel zu selten“, bedauert Renate Cords. Genauso fehlt die Zeit, einmal einigen eigenen alten Büchern ans Leder zu rücken, die noch zu Hause im Regal stehen und dringend der Hände der Buchbinderin bedürften. Renate Cords lacht: „Aber wenigstens weiß ich, wie ich mit ihnen umgehenmuss , wenn ich sie einmal herausziehe.“