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ZEITUNG: „A WHIRLPOOL OF CONFUSION”
Schwerin, vor 850 Jahren von Heinrich dem Löwen gegründet, präsentiert sich heute als Stadt mit unverwechselbarem Flair. Als „Stadt der Seen und Wälder“ besang sie einst der Gelehrte Friedrich Lisch. Heute ist die Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns wegen ihres märchenhaften Schlosses, der wunderschönen Gärten und ihrer einmaligen Kunstschätze ein Anziehungspunkt für Besucher aus Nah und Fern. In einer 12-teiligen Serie erzählen wir die Geschichte der Jubilarin. Autor ist Jens-Uwe Rost, Mitarbeiter des Schweriner Stadtarchivs.
In den Vormittagsstunden des 2. Mai 1945 besetzten amerikanische Einheiten Schwerin. Widerstand gab es nicht, der Krieg war vorbei. „A whirlpool of confusion“ titelte die hier erscheinende Militärzeitung, denn in die kleine beschauliche Stadt strömten unzählige Flüchtlinge und Wehrmachtsverbände, um einer Begegnung mit der Roten Armee zu entgehen. Zeitgleich fand der KZ-Todesmarsch am Störkanal sein Ende. Bis zu 180.000 Menschen lagerten in und um Schwerin. Im Stadtgebiet wurden 120 Massenquartiere eingerichtet, allein im Arsenal fanden täglich bis zu 4.000 Personen Unterkunft.
Trotz der chaotischen Zustände beschloss das Militär, die Schweriner mit dem Grauen der Naziherrschaft zu konfrontieren. Alle Einwohner hatten sich am 8. Mai auf dem Platz vor dem Friedhof einzufinden, um an der Beisetzung von grausam entstellten KZ-Häftlingen aus Wöbbelin teilzunehmen.
Anfang Juni wechselten die Besatzungsmächte. Die britischen Soldaten hielten Distanz zu den Schwerinern, doch nach und nach fanden auch sie am hiesigen Theater Gefallen, das nun sogar die Einheimischen wieder besuchen durften. Langsam kehrte Normalität ins städtische Leben ein. Am 7. Juni jedoch verkündete eine Hamburger Militärzeitschrift: „Die Russen kommen“.
Tatsächlich zog die wenig ruhmreich aussehende „Rote Armee“ am 1. Juli in Schwerin ein. Der Stadtkommandant nahm Quartier im Gebäude des Landeshauptarchivs, und das Schlossgartenviertel diente dem Offiziersstab als Wohngebiet. Beliebt waren die neuen Besatzer nicht. Die Menschen lebten in ständiger Angst, denn Vergewaltigung und Diebstahl gehörten schnell zum Alltag. Selbst das Auto des Polizeichefs verschwand - direkt vor dem Revier. Es ist eine traurige Tatsache, dass die sowjetischen Streitkräfte nicht in der Lage waren, ihre Soldaten angemessen zu versorgen, was wiederum zulasten der Einheimischen ging. Warteschlangen von mehreren hundert Metern vor Fleischereien und Bäckereien wurden Normalität. Das Versorgungsprinzip mittels Lebensmittelkarten funktionierte nur unzureichend. Schwarzmärkte, wie rund um die Paulskirche, hatten Hochkonjunktur.
Zur Linderung der Not verwandelte sich das öffentliche Grün in Kleingärten, wovon auch der Schlossgarten nicht verschont blieb. Auf Druck der Militärbehörden belebte sich die Wirtschaft. Die Sektkellerei Uhle vervierfachte binnen kürzester Zeit ihre Produktion von Hochprozentigem für die Besatzungssoldaten. Als Reparationsleistungen waren Fertigblockhäuser und Möbel zu liefern, so dass alle holzverarbeitenden Betriebe Reparationsaufträge für die Sowjetunion zu erfüllen hatten.
Wer auf eine Wiedereinführung der Demokratie hoffte, war bald enttäuscht. Dank sowjetischer Unterstützung kamen die Kommunisten recht bald in viele Schlüsselpositionen, und die Opposition geriet massiv unter Druck. So verlor SPD-Landesgeschäftsführer Lüdemann seinen Posten. Generalmajor Skossyrew, Chef der Zivilbehörde, meinte, er wäre „als Parteisekretär nix gut“. Lüdemann flüchtete in den Westen mit der Begründung: „Ich lebe lieber in einem demokratischen kapitalistischen Staat, als als Sklave in Russland.“ Wer jedoch versuchte, demokratische Rechte in Anspruch zu nehmen, geriet schnell in die Fänge des sowjetischen Geheimdienstes NKWD.
So verurteilte ein sowjetisches Sondergericht am Demmlerplatz den Schweriner Schüler Eduard Lindhammer zu 25 Jahren Arbeitslager, weil er Flugblätter für demokratische Wahlen verteilt hatte.