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Einkommen gleich Einkommen?
In den vergangenen Monaten haben zwei Urteile der Sozialgerichte Berlin (Urteil vom 23.03.2015; Az. S 175 AS 15482/14) und Braunschweig (Urteil vom 20.02.2015, S 44 AS 121/14) gesetzliche Regelungen hinsichtlich der leistungsmindernden Anrechnung von Einkommen erheblich zugunsten der ALG-2-Bezieher abgeändert.
Sehr geehrter Herr Alff, was genau hatten das Sozialgericht Berlin und das Sozialgericht Braunschweig zu entscheiden?
Das Sozialgericht Berlin hat entschieden, dass nicht jedes vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Essen auch als Einkommen anzurechnen ist. Im speziellen Fall trug eine Arbeitnehmerin, die aufstockend ALG 2 bezog, vor, dass sie die zur Verfügung gestellten Speisen gar nicht gegessen habe. Aus gesundheitlichen Gründen habe sie viel abgenommen und sehr auf ihre Ernährung geachtet. Das Essen –viel Fleisch, Wurst, Salate mit Mayonnaise – sei jedoch sehr fett- und kohlenhydratreich gewesen.
Im Fall vor dem Sozialgericht Braunschweig wurde ein Heizkostenguthaben, welches aufgrund einer vom Energieversorger erklärten Aufrechnung mit Stromschulden gar nicht ausgezahlt wurde, zu Unrecht vom Jobcenter als Minderung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung berücksichtigt. Hier hat das Gericht festgestellt, dass, soweit tatsächlich keine Verfügungsgewalt bestand, ein Guthaben auch nicht angerechnet werden kann.
Was bedeuten die Urteile für unsere Leser?
Insbesondere das Urteil des Sozialgerichts Berlin ist interessant, da das Sozialgericht noch einmal bekräftigt hat, dass gegen die Regelung des § 2 Abs. 5 der sogenannten ALG-2-Verordnung erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts und der allgemeinen Handlungsfreiheit der Leistungsbezieher kann eine Anrechnung von Verpflegung nur erfolgen, wenn sie auch tatsächlich verzehrt worden ist.
Dies bedeutet, dass es nicht auf die Frage ankommt, ob der Arbeitgeber Verpflegung zur Verfügung stellt, sondern auf die Frage, ob der Arbeitnehmer, der zur Aufstockung ALG 2 bezieht, diese auch tatsächlich in Anspruch nimmt. Hier sollten die Leistungsbezieher ihre Bescheide genau prüfen, welches Einkommen ihnen angerechnet wird.
Gleiches gilt hinsichtlich des Urteiles des Sozialgerichts Braunschweig. Soweit Gutschriften als Einkommen vom Jobcenter angerechnet werden, müssen diese dem Leistungsbezieher auch tatsächlich zur Verfügung gestanden haben.
Was können unsere Leser machen, wenn Einkommen zu Unrecht leistungsmindernd berücksichtigt wurde?
Soweit der Bescheid noch nicht rechtskräftig geworden ist, sollten Leistungsbezieher hiergegen Widerspruch einlegen. Sollte die Monatsfrist nach Zugang bereits abgelaufen und der Bewilligungsbescheid rechtskräftig sein, sollte eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides nach § 44 SGB X beantragt werden. Aufgrund der im Einzelfall zu berücksichtigenden umfangreichen Rechtsprechung wird angeraten, im Zweifelsfall fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen.
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